Prégardien: Rihm macht Verbindung zwischen Musik und Text greifbar

Christoph Prégardien © Matthias Müller
Seit Jahrzehnten ist der deutsche Tenor Christoph Prégardien (69) ein gefragter Sänger und leidenschaftlicher Bühnenkünstler, der ewig jung zu sein scheint. Am Freitag wird er das Internationale Songfestival Zeist eröffnen. Die Journalistin Maartje Stokkers fragte ihn nach seinem Lebenselixier und dem besonderen Repertoire, das er in Zeist singt. Dabei handelt es sich um eine Mischung aus Schubert und dunklen Liedern von Wolfgang Rihm (1952-2024), die speziell für ihn komponiert wurden.

 

Interview Maartje Stokkers 

 

Es sind düstere Lieder, ja, sie handeln von Liebe und Verlust, aber es gibt auch eine gewisse Hoffnung. Prégardien hat nach einem Konzert in Antwerpen ein paar Tage Urlaub und erklärt das Programm vom Auto aus: "Es begann als ein Experiment. Wir tauschen die 11 Lieder aus Rihms Sammlung aus Ende der Handschrift des Dichters Heiner Müller mit Schubert-Liedern zu Gedichten von Ernst Schulze".

Obwohl 200 Jahre zwischen der Musik von Rihm und Schubert liegen, funktioniert die Mischung gut, weil die Lieder in Bezug auf Tonart und Gefühle zusammenpassen. Hier und da werden sogar kontrastierende Atmosphären geschaffen.

Begleitet wird Prégardien von Hans Eijsackers, der zusammen mit dem Bariton Henk Neven das künstlerische Führungsduo des Liederfestivals in Zeist bildet.

Eijsackers: "Das hat er wunderbar gemacht, diese Kombination von Liedern. In Schuberts Auf der Bruck galoppiert man erwartungsvoll mit einem reitenden Mann zu seiner Geliebten, die sich als gar nicht vorhanden herausstellt. Nahtlos geht es über in Glückloser Engel von Rihm, in dem man sich plötzlich "zwischen Stadt und Stadt, hinter der Mauer ... dem Abgrund" wiederfindet. Hier ist die Geliebte sichtbar, aber wer ist sie wirklich?'

Dann folgt in Im Frühling von Schubert, über die Sehnsucht nach einem Ort, in diesem Fall die Natur im Frühling, an dem man einst mit seinem Geliebten glücklich war. Die Schönheit der Natur ist noch da, aber die Geliebte und das Glück sind nicht mehr da. Der Ich-Erzähler sieht einen Ausweg: ein Vögelchen sein, dann könnte er den ganzen Sommer lang süß von ihr auf dem Baum singen.

Die Antwort auf diese Frage lautet: Rihms Natur mortemit dem Bild von drei baumelnden Körpern im Licht des Mondes. Die Lieder stellen sich gegenseitig in einen manchmal neuen Kontext, oder sie verstärken die hervorgerufenen Assoziationen.

Kann man Wolfgang Rihm als den Schubert des 21. Jahrhunderts bezeichnen?
Prégardien: 'Rihm war einer der Komponisten, die erkannt haben, dass die Verbindung zwischen Poesie und Musik verständlich sein muss. Die Musik der 1960er und 1970er Jahre war viel zu schwierig; die Menschen sehnten sich nach Melodien und Harmonien, die logisch und klar waren.

Wenn man Rihms Liedern lauscht, hört man, dass er sich den Gedichten auf dieselbe Weise nähert wie die Komponisten des 19. Jahrhunderts, etwa Schubert und Schumann. Rihms Musik ist ungeheuer ausdrucksstark, sie reicht von dunklen, aber steinharten Tiefen bis zu unruhigen Höhen. Der Pessimismus, der in Heiner Müllers Texten zum Ausdruck kommt, ist geradezu greifbar.

Prégardien ist fast 70 und immer noch ein gefragter Sänger. Was ist sein Geheimnis? Ich habe aufgehört zu unterrichten. Ich habe mehr Zeit, nicht nur für die Musik, sondern auch für meine Familie. Ich bin geistig und körperlich gesund, und zufällig funktioniert meine Stimme noch. Sie hat sich allerdings verändert, die hohen Töne funktionieren nicht mehr so gut. Ich passe die Musik an, singe manche Lieder zum Beispiel einen Ton tiefer, ich denke, das ist legal.'

Dabei höre ich mir die Aufnahmen von mir selbst kritisch an und versuche, Zeichen zu hören, die mir sagen, dass ich aufhören soll. Bis jetzt habe ich sie noch nicht gehört. Außerdem liebe ich es einfach, auf der Bühne zu stehen. Für mich ist das eine Form der Psychotherapie, ich kann dort meine Gefühle ausdrücken.

Ihr Sohn Julian ist ebenfalls Sänger. Siehst du ihn als deinen Nachfolger an?
Prégardien: Julian möchte sicher nicht als mein Nachfolger bezeichnet werden. Er hatte eine schwierige Zeit zu Beginn seiner Karriere. Mit mir als Vater hatte er es auf der einen Seite leicht und auf der anderen Seite überhaupt nicht. Er musste standhaft bleiben. Am Anfang wollte ich gar nicht, dass er auch Sänger wird, weil ich Angst vor Problemen zwischen uns hatte. Ich habe versucht, ihm das auszureden, aber das ist mir zum Glück nicht gelungen. Jetzt stehen wir auch zusammen auf der Bühne und dann sind wir gefühlvoll.'

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